F.A.Z. exklusiv :
Bundesländer wollen Lauterbachs Klinikreform zerpflücken

Von Christian Geinitz, Berlin
Lesezeit: 7 Min.
Kosten Geld, aber werden gebraucht? Überzählige Krankenhausbetten sollten nach der geplanten Klinikreform eigentlich weniger werden.
Ein gemeinsames Papier fordert von Berlin deutlich mehr Geld und Mitsprache. Die Länderchefs lehnen zentrale Vorschläge des Gesundheitsministers ab, darunter die Einteilung der Kliniken in Qualitätsstufen.

Es sieht nicht gut aus für die Krankenhausreform von Karl Lauterbach (SPD). Die Bundesländer fordern für den Umbau mehr Geld, Mitsprache und Zeit. Außerdem lehnen sie einheitliche Qualitätsanforderungen des Bundes ebenso ab wie die Teilhonorierung der Kliniken durch das Bundesamt für Soziale Sicherung.

Damit wachsen die Zweifel daran, dass der Bundesgesundheitsminister seine Pläne zur Straffung der Kliniklandschaft noch in diesem Jahr durchsetzen kann – und erst recht, dass sich damit Geld sparen lässt. Die Ablehnung der Länder geht aus Beschlussempfehlungen der Amtschefs für die Gesundheitsministerkonferenz hervor, die der F.A.Z. vorliegen. Die Amtschefs sind die Spitzenkräfte in den Ressorts unterhalb der Minister, oft die Staatssekretäre.

In Anlehnung an die Empfehlungen einer Regierungskommission zur Verbesserung der stationären Betreuung schwebt Lauterbach eigentlich die Einteilung aller deutschen Krankenhäuser in drei Qualitätsstufen vor: in Grundversorger (Level I), Regel- oder Schwerpunktversorger (Level II) und Maximalversorger samt Universitätskliniken (Level III).

Ihre Güte und Ausstattung soll in Leistungsgruppen gemessen werden, die viel feiner ziseliert sind als grob definierte Abteilungen wie „Innere Medizin“. Diese Qualitätsvorgaben müssen Lauterbach zufolge bundeseinheitlich sein. Nur Häuser, die bestimmte Standards erreichen, können in Level II oder Level III aufsteigen und diese Leistungen auch abrechnen.

Lauterbach war schon im Rückzug begriffen

Nach den ersten Sitzungen der Bund-Länder-Gruppe für die Krankenhausreform ist Lauterbach auf die Kollegen bereits zugegangen und hat sich von einigen Positionen verabschiedet. In Ausnahmefällen, vor allem außerhalb der Städte, ist er bereit, den Ländern die Möglichkeit zu bieten, Leistungsgruppen, die eigentlich nur in Krankenhäusern der Level II und III erlaubt werden, in Level-I-Häusern zuzulassen.

Die Durchlässigkeit gilt auch andersherum, sodass in einigen Fällen kleinere Einrichtungen ohne Geburtshilfe und Schlaganfall-Einheit (Stroke Unit) in die Stufe II aufsteigen könnten. Außerdem hat der SPD-Politiker zugesagt, den Ländern einen sogenannten Basisvorschlag zu unterbreiten, mit dem sie die Reformfolgen erst einmal abschätzen können.

Die Länder wittern nach diesen Zugeständnissen weitere Chancen, zumal kürzlich ein von Unionsministern in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten in Lauterbachs Absichten Verstöße gegen das Grundgesetz entdeckt hatte. Im Einklang damit äußert der am Donnerstag verabschiedete Beschluss der 16 Amtschefs „erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken“ und geht auch deshalb in seinen „Kernforderungen“ an die Bundesregierung sehr weit. „Krankenhausplanung ist Ländersache“, heißt es, und müsse „ohne Abstriche in Länderhand bleiben“.

In der Defensive: Die Klinikreform des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) wird von den Ländern verwässert.
In der Defensive: Die Klinikreform des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) wird von den Ländern verwässert.dpa

Lauterbachs bisherige Reformvorstellungen werden in zentralen Teilen regelrecht zerpflückt. Zwar könnten die Länder die beabsichtigten Versorgungsstufen freiwillig einführen, die Ampelregierung dürfe sie aber nicht vorschreiben: „Vom Bund definierte und vorgegebene Level sind – ungeachtet der Frage ihrer verfassungsrechtlichen Statthaftigkeit – für eine Krankenhausstrukturreform nicht notwendig.“

Regionen sollen Planungshoheit behalten

Auch von den Leistungsgruppen bleibt nicht viel übrig. Man gesteht zu, dass „bundesweit einheitliche Rahmenfestlegung von Leistungsgruppen und Mindeststrukturvoraussetzungen“ sinnvoll sein könnten, diese Vorgaben dürften aber nicht die Planungshoheit der Regionen untergraben: „Leistungsgruppen und Strukturanforderungen müssen daher zwischen Bund und Ländern abgestimmt werden.“ Letztlich könnte Berlin also nichts selbst entscheiden, orientieren sollte man sich ohnehin an dem Modell von Nordrhein-Westfalen, wie es heißt. Zusätzlich müsse es „gesetzliche Öffnungsklauseln“ geben, um von den vorgeschriebenen Standards abweichen zu können.

Eigentlich sollte die Krankenhausreform die Versorgung verbessern und zugleich Geld sparen. Etwa dadurch, dass sich benachbarte Kliniken mit identischen Angeboten zusammentäten oder dass nicht benötigte Betten und deren Belegung zurückgefahren würden. Überdies wollte Lauterbach die Fallpauschalen (DRG) ausdünnen, weil diese falsche Mengenanreize setzten, zu überflüssigen stationären Aufnahmen führten und weil sie oft unnötige oder gar schädliche Behandlungen und Operationen nach sich zögen, für welche die Qualifikation fehle. In Ergänzung und zum Teil als Ersatz der DRG sieht sein Konzept Vorhaltepauschalen unabhängig von der Zahl der Behandlungsfälle vor.

Neue Milliardenausgaben trotz Rekorddefizits

Schon in den bisherigen Verhandlungen wurde deutlich, dass die Hoffnungen der Krankenkassen nicht aufgehen, dass die Neuordnung der Kliniken zu finanziell wirksamen Effizienzsteigerungen führen werde. Es ist allenfalls noch von „Kostenneutralität“ die Rede, also einem Nullsummenspiel, immer häufiger aber von neuen Milliardenausgaben. Und das, obgleich die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) zuletzt ein Rekorddefizit eingefahren hat, die Rücklagen aufgebraucht sind und die Kassenzusatzbeiträge bereits erhöht werden mussten.

Der Passus in dem Länderpapier zum Thema „Krankenhausfinanzierung weiterentwickeln“ müsste eigentlich heißen: „Krankenhausfinanzierung aufstocken“, denn genau darauf läuft er hinaus. Es seien „umfangreiche finanzielle Anstrengungen zum Umbau und zur Weiterentwicklung der Krankenhauslandschaft erforderlich“, heißt es dort, und dann ganz unverblümt: „Daher bedarf es eines weiteren Strukturfonds des Bundes, um die Krankenhausstrukturen reform- und sachgerecht weiterentwickeln zu können.“

Weitere Erhöhung der Fallpauschalen und Vorhaltevergütung

Zusätzlich zu diesem neuen Geldtopf wünschen sich die Länder wegen der gestiegenen Tariflöhne einen „Personalkostenausgleich“, genauer: eine „vollständige Refinanzierung dieser Personalkostensteigerungen“, sowie einen kurzfristigen „Inflationsausgleich“. Die Vorhaltevergütung sei zu begrüßen, doch müsse es für sie, ebenso wie für die verbliebenen Fallpauschalen, eine „Fortschreibung“ anhand der Kostenentwicklung geben, also eine weitere Erhöhung. Ansonsten bestünden „weiterhin Fehlanreize zur Mengenausweitung, und die Vorhaltevergütungen können ihre Wirkung nicht entfalten“.

Auch bei der Höhe der Pauschale wollen die Länder jetzt und in Zukunft mitreden. Nur wenn der Bund „mit Zustimmung der Länder“ darüber befinde, erfolge das in „demokratisch legitimierten Strukturen/Gremien“, argumentieren sie. Das neue Finanzinstrument müsse „als dritte Säule der Krankenhausvergütung“ neben die DRG und das Pflegebudget treten. Das klingt nicht gerade nach Vereinfachung und Entschlackung, obwohl sich der Folgeabsatz zur Entbürokratisierung bekennt.

Schneller werden will man zumindest bei der Auszahlung: Die Honorierung solle über „bereits etablierte Zahlungswege“ erfolgen und explizit nicht so, wie der Bund es wünscht: „Das heißt, das Bundesamt für Soziale Sicherung wird für die Vorhaltevergütung nicht eingebunden.“ Bei der Einführung der neuen Tarife sei zudem sicherzustellen, dass das Pflegebudget davon „unberührt“ bleibe, also nicht geschmälert werde, heißt es in dem sechsseitigen Beschluss. Dieser wurde auf einer Sitzung in Reutlingen bei Stuttgart getroffen, Baden-Württemberg hat derzeit den Vorsitz in der Gesundheitsministerkonferenz inne.

Beschränkte Rolle Berlins

Ein Ziel der ursprünglichen Reform war es auch, mehr ambulant zu behandeln, um den Aufwand einzugrenzen und das Personal für wirklich notwendige stationäre Aufgaben einzusetzen. Zu dieser „sektorübergreifenden Versorgung“ zwischen ambulanter und stationärer Betreuung schreiben die Behördenchefs, dass diese geplante Neugestaltung ebenfalls unter die Länderhoheit fallen müsse, um dem ländlichen Raum gerecht zu werden.

Der Bund soll dafür aber einen „erweiterten gesetzlichen Instrumentenkasten“ zur Verfügung stellen und vor allem zahlen: Berlin müsse die „Voraussetzungen für eine verlässliche Finanzierung“ schaffen, so der Forderungskatalog, etwa für regionale Gesundheitszentren, für ambulant-stationäre Zentren oder Primärversorgungszentren. Entscheidend sei eine „sektorübergreifende Regelvergütung“ und dass die Kommunen die Trägerschaft der regionalen Gesundheitszentren übernehmen könnten. Im Übrigen fordern die Amtschefs abermals die versprochene „Auswirkungsanalyse“ ein. Diese hatte Lauterbach für Ende April in Aussicht gestellt, ohne dass sie bisher vorliegt.

Länder fordern – ohne selbst zu liefern

Zum Zeithorizont erklären die Länder, sie erwarteten „einen realistischen Umsetzungszeitraum, der alle Beteiligten nicht ohne Not überlastet“. Die Landeskrankenhauspläne werde man bis Ende 2026 anpassen. Zudem benötige man „ausreichend Zeit“, um den Krankenhäusern die richtigen Leistungsgruppen zuzuweisen. Erst dann beginne für die Kliniken die „Konvergenzphase“. Es sei „zwingend notwendig“, sie zu verlängern, das vom Bund vorgesehene eine Jahr reiche für eine erfolgreiche Transformation nicht aus.

Die Länder wissen, dass vielen Kliniken das Wasser finanziell bis zum Hals steht – die Deutsche Krankenhausgesellschaft DKG erwartet ein regelrechtes Krankenhaussterben. Daher soll wieder einmal die Bundesregierung einspringen. „Bis zum Beginn der Konvergenzphase ist der Bund gefordert, für eine auskömmliche Finanzierung der Krankenhäuser zu sorgen, um einen kalten Strukturwandel zu vermeiden“, fordern die Amtschefs. In dem Papier findet sich indes kein Wort dazu, dass viele Länder seit Jahren ihrer gesetzlichen Pflicht zur Übernahme der Krankenhausinvestitionen nicht nachkommen.

Das Votum der 16 Länder erfolgte auf der Sitzung einstimmig über alle Parteigrenzen hinweg. Auch die von Lauterbachs SPD geführten Regierungen haben sich also den Verfassungsbedenken der Union und den Verwässerungsvorschlägen zu seiner „großen Krankenhausreform“ angeschlossen. Die nächste reguläre Gesundheitsministerkonferenz findet am 5. und 6. Juli in Friedrichshafen am Bodensee statt.

Möglicherweise beschließen die Ressortchefs die Empfehlungen ihrer Behördenleiter aber schon vorher, denn die Zeit drängt: Die Bund-Länder-Gruppe will vor der Sommerpause im Juli einen gemeinsamen Vorschlag für die Krankenhausreform entwickeln. Daraus soll Lauterbachs Haus über die Ferienzeit hinweg einem Gesetzentwurf entwickeln. Es besteht die Hoffnung, dass die Gesetzgebung im Dezember abgeschlossen sein wird, sodass die Reform Anfang 2024 in Kraft treten kann. Wie viel von den Empfehlungen der Regierungskommission in der Novelle dann noch übrig ist, steht allerdings in den Sternen.